Kurhessische Bürgergarde Kirchhain e.V.
Otto-Ubbelohde-Preisträger 2009

Geschichte der Uniform und Historischer Hintergrund

Die Uniform

Die Mitglieder der Kirchhainer Bürgergarde sind unaufhörlich darum bemüht, das Aussehen des historischen Vorbildes zu erforschen und die heutige Darstellung dahingehend zu verbessern. Hierzu werden verschieden Quellen herangezogen. Sowohl schriftliches Material, wie z. B. aus dem Hessischen Staatsarchiv Marburg oder auch zeitgenössische Darstellungen und Originalexponate der Epoche werden ausgewertet und erforscht. Zu diesem Zweck hat der Verein schon zahlreiche Museen besucht, die noch über kurhessische Bürgergardeuniformen verfügen (Schoß Philippsruhe in Hanau, Schloss Friedrichstein in Bad Wildungen, Stadtmuseum Kassel, Landgrafenschloss Marburg u. a.).

Die zum Teil widersprüchlichen Quellen zeigen, dass die Uniformierung der Bürgergarden in ganz Kurhessen und über den gesamten Zeitraum von ihrer Gründung bis zu ihrem Ende nicht einheitlich war. So unterschieden sich die Uniformen je nach Finanzlage der Gemeinde oder nach dem Zeitpunkt der Aufstellung deutlich.  Der bekannte Eschweger Maler Ernst Metz (1892-1973) hat zahlreiche Darstellungen des kurhessischen Militärs und der Bürgergarden geschaffen. Er stellte überwiegend die prächtige Uniform der Kasseler Bürgergarde dar, wobei er sich allerdings immer einer satirischen Überhöhung und karikaturistischen Darstellung in seinen Werken bediente. Daher können seine Bilder nur bedingt als Vorbild für das Aussehen der Kirchhainer Bürgergarde dienen.

Interessanter sind hingegen zeitgenössische Gemälde und Darstellungen, wie zum Beispiel in den Sammlungen der Museen in Bad Wildungen und Kassel (Stadtmuseum).

Die Armbinde

Als „wesentliches und ausschließliches Dienstabzeichen der Bürgergarde“ wurde nur „die weiße Binde mit roter Einfassung um den linken Arm“ und zwei karmesinroten Streifen für die Offfiziere vorgeschrieben. So heißt es im Gesetzt von 1832. Eine Armbinde vertrat schon beim Landsturm von 1814 die Stelle der Uniform und gerade bei den Bürgergarden der Landgemeinden, wo man sich keine teuren Uniformen leisten konnte, machte die Armbinde an der Zivilbekleidung den Bürgergardisten kenntlich. Bei Auftritten der Kirchhainer Bürgergarde wird dies heute durch einige Mitglieder dargestellt, die Zylinder und zivile Fräcke mit besagter Armbinde tragen. In Gemeinden, die mehrere Kompanien hatten, wie z. B. Marburg, wurde zusätzlich die Nummer der Kompanie auf der Armbinde geführt. Stabsofffiziere trugen zwei weitere Streifen auf der Armbinde, also neben der Einfassung insgesamt vier.

Wie aus den Archivalien hervorgeht, bestand die erste Uniformierung der kurhessischen Bürgergarden kurz nach ihrer Aufstellung, aus einem blauen Überhemd mit karmesinroten Kragen, einer schwarzen Wachstuchmütze mit kurhessischer Kokarde und der weißen Armbinde am linken Arm. Erst im Laufe der 1830er Jahre beschafften sich die Bürgergarden zweireihige, wollene Uniformröcke („Kutkas“), wie sie jetzt auch von dem Verein getragen werden. Das Marburger Bürgerbataillon trug schwarze Röcke, die anderen Städte der Provinz, also auch Kirchhain, hatten sich für dunkelblau entschieden. Der zweireihige Oberrock wurde vorne mit insgesamt 16 Knöpfen geschlossen. Bei Offfizieren, wie bei Gardisten, war es sehr beliebt, die obern Knöpfe offen zu tragen und das Revers anzuknöpfen. Dadurch wurde das hellblaue oder rote Innenfutter sichtbar. An den hellblaupaspelierten Schoßtaschen hatte der Rock zwei Reihen a 3 Knöpfe. Auch die spitzzulaufenden Ärmelaufschläge waren hellblau paspeliert.

Die Farbe des Kragens konnte von den Gemeinden gewählt werden, diese oblagen aber der landesherrlichen Genehmigung. Es wurde hierbei darauf geachtet, dass es nicht zu Verwechslungen mit dem Militär kommen konnte. In der Kirchhainer Chronik lesen wir, dass die Uniform „in der Hauptsache aus einem dunkelblauen Oberrock mit hellblauem Kragen und gleichmäßiger Kopfbedeckung bestand.“ (Grün, 1952) Auch die im Marburger Landgrafenschloss erhaltene Uniform hat diesen hellblauen Kragen, der in der Provinz Oberhessen weit verbreitet war. Die zur Uniform vorgeschriebene dunkelgraue Tuchhose mit roter Paspelierung konnte aus Kostengründen nicht überall angeschafft werden. Vielfach taten es zivile Hosen oder solche aus weißem Leinen, die den Vorteil     hatten, billig und pflegeleicht zu sein.


Der Tschako

Nachdem die von Kirchhain beantragten Tschakos als zu hoch und zu militärisch eingestuft worden waren, entschied man sich damals zunächst für mit  Wachstuch überzogene Mützen. Die bis zuletzt geführten und in ganz Kurhessen getragenen Tschakos waren von mittlerer Höhe und von schwarzem Leder, das beweisen die zahlreichen  erhaltenen Originalstücke in Marburg, Kassel und Hanau. Sie hatten die Form einer Schirmmütze und waren mit einem an einer Messingrosette befestigten Kinnriemen versehen. Letztere wurde gerne hochgeschlagen und um die Nationale und den Feder- oder Roßhaarstutz gelegt getragen. Dieser hohe „Stutz“ hatte bei der Infanterie die hessischen Farben (ROT-WEISS), bei den Hoboisten und Trommlern ROT. In den Residenzstädten war er BLAU-WEISS oder bei den Jägerkompanien GRÜN. Berittene Bürgergarde-Kompanien trugen den Roßhaar-Stutz in langen Haaren vom Tschako herab (Original im Landgrafenschloss Marburg). Wesentlicher Zierrat waren die weiß-rote Nationale, ein Oval am oberen Ende der Kopfbedeckung, und die Kokarde. Sie war ebenfalls kurhessisch-weiß-rot, wurde allerdings zur Zeit des Paulskirchenparlaments (1848/49) gegen die Bundeskokarde, schwarz-rot-gold, ausgetauscht. Die bis zum Ende der Bürgergarden getragenen Originale, die in den oben genannten Museen zu finden sind zeigen noch heute diese Kokarde. Aller anderer Zierrat, der sonst beim Militär üblich war, wie wollene Fangschnüre, waren verboten, um so eine Verwechslung mit dem Militär zu vermeiden, bzw. um den „militärspielenden Bürgern“ nicht unnötig Bedeutung zuzubilligen.


Eine Kompanie hat: einen Hauptmann, einen Oberleutnant und einen oder zwei Unterleutnants, nach Verhältnis der Stärke, einen Feldwebel, einen Sergeanten, einen Fourier, sodann je auf zehn Mann einen Unterofffizier, zwei Trommelschläger oder zwei Hornisten.“ - so heißt es in § 33 des Gesetzes die Bürgergarden betreffend vom 23. Juni 1832.

Kirchhain war als Kreisstadt nicht nur Standtort einer Bürgergardekompanie, sondern auch Sitz des Bataillonskommandeurs des 16. Bürgergardebataillons. Dieser wird auch heute durch die Kirchhainer Bürgergarde dargestellt. Er trägt nicht den Tschako, sondern einen Zweispitz mit Hahnenfedern sowie goldene Epauletten mit Kantillen.

Die Schulterstücke der gemeinen Gardisten waren Epauletten aus roter  Wolle mit hellblau paspelierter langer Zunge.

Die Unterofffiziere trugen die selben Epauletten und hatten zusätzlich breite schrägverlaufende Tressen an den Unterarmen (siehe Originaluniform in Marburg).


Historischer Hintergrund

Die kurhessischen Bürgergarden 1830 bis 1850      

Betrachtet man die Geschichte der kurhessischen Bürgergarden, so kommt man schnell zu dem Begriff des „Spießbürgers in Uniform“, der sich anschickt Militär zu spielen und dem eine gewisse unfreiwillige Komik anhaftet. Eitel und selbstbewusst bewegt und gebärdete sich der Bürger in Uniform, der allerdings bestrebt war, die ihm zugeschobene Rolle als Offfizier oder Gardist möglichst gut zu spielen. Dennoch, die Bürgergarden waren wichtiger Ausdruck eines selbstbewussten Bürgertums, das der alleinigen Militärgewalt ihres Fürsten etwas entgegensetzen wollte und das den Beginn einer freiheitlich-liberalen Bewegung kennzeichnete. 

Französische Revolution / Napoleonische Kriege

Die Geschichte des 19. Jahrhunderts und die der kurhessischen Bürgergarden muß im engen Zusammenhang mit der französischen Revolution (1789) und den Napoleonischen Kriegen gesehen werden. In Frankreich wurde erstmals im starken Maße der Begriff der Volksbewaffnung  geprägt. Der Gedanke einer Volksbewaffnung als Instrument des emanzipierten Bürgertums gegenüber den stehenden Heeren der Monarchen gewann so auch in Deutschland an Boden, wo an die Tradition der mittelalterlichen Schützengesellschaften angeknüpft wurde. Die französischen Organisationsformen dienten später häufig als Vorbild.

In der westfälischen Zeit (1806-1813), der Phase der französischen Besatzung, gehörte Kirchhain zum Departement Werra. Napoleons Bruder Jeromé regierte als König von Westfalen in Kassel und seine Untertanen kamen in den Genuss zahlreicher Errungenschaften der französischen Revolution. Jedoch wurden die Franzosen nach wie vor als Besatzer empfunden. Nicht zuletzt durch den hohen Blutzoll, der auch von den kurhessischen Männern abverlangt wurde. Für Napoleons Kriegsziele mussten 28.000 Hessen am Rußlandfeldzug (1813) teilnehmen. Nur 600 kehrten zurück, von 30 Kirchhainern nur ein Einziger.

Mit den Befreiungskriegen 1813/15 kam es zu einer Welle von Patriotismus. Freiwilligenverbände bildeten sich und in Preussen wurde zunächst für die Dauer des Krieges die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Der Gedanke an ein geeintes Deutschland ließ das Ende der Kleinstaaterei in greifbare Nähe rücken. Die Bewohner Kurhessens und der anderen deutschen Staaten wurden jedoch mit ihren Hoffnungen auf freiheitliche Verfassungen von den zurückkehrenden absolutistischen Herrschern enttäuscht. Auf dem Wiener Kongress (1815) wurde unter der Leitung des österreichischen Staatskanzlers von Metternich der Zustand von 1792 in Europa wiederhergestellt.

Kurhessen zwischen Restauration und Revolution

Ein Teilnehmer des Wiener Kongresses war auch Kurfürst Wilhelm I. von Hessen-Kassel. Er war nach seiner Rückkehr aus dem Prager Exil freudig von der Bevölkerung empfangen worden, aber er entpuppte sich schon bald als ein strenger Verfechter der Restauration. Der Kurfürst führte symbolhaft den verhassten Zopf beim Militär wieder ein und seine antipreußische Politik führte zu einer Isolierung des ohnehin strukturschwachen Kurhessens. Seit dem Beitritt zum Mitteldeutschen Zollverein (1828) ruhte praktisch der Handel mit Frankfurt und dem angrenzenden Hessen-Darmstadt, das einem preußisch-hessischen Zollverein beigetreten war. Besonders der Handel und die ersten Ansätze der Industrie in Hanau wurden durch die Zollschranken von ihren Märkten isoliert. Die Lage spitzte sich zu, als 1830 eine Missernte die Verarmung der Landbevölkerung noch förderte und eine Krise in der Nahrungsmittelversorgung hervorrief.
Seit dem Tod von Wilhelm I. hatte sein Sohn Wilhelm II. 1821 die Regentschaft übernommen. Er schaffte zwar den Zopf beim Militär wieder ab und führte eine fortschrittliche Gebietsreform durch (der Kreis Kirchhain entstand, 1821-1932), jedoch regierte er zäh wie der Vater in der Bewahrung des Überkommenen. Missernten und die rückständigen Verhältnisse führten zu einer Auswanderungswelle. Der Lebenswandel des Kurfürsten verhalf Kurhessen alsbald zum Beinamen „Hurhessen“. Wilhelms Beziehung zu seiner Maitresse, der Gräffin Reichenbach, galt im Volk als unmoralisch, zumal die Sympathien der Untertanen ohnehin der Kurfürstin Auguste galten, die eine preußische Prinzessin war. Als die Gräffin Reichenbach durch ihre politische Einmischung Kurhessen auch noch näher an Österreich rückte wurde dieser Ehekonflikt weiter getrübt.

Gründung der Bürgergarden 1830

Vor dem Hintergrund der Juli-Revolution (1830) in Paris kam es zur Eskalation. Als bei sinkenden Kornpreisen die Bäcker in Kassel einen Versorgungsengpass ausnutzten, um erneut ihre Preise zu erhöhen, stürmte am Abend des 6. Septembers die Volksmenge die Bäckerläden. Neben dem Militär sorgten auch etwa 300 bewaffnete Bürger spontant dafür, die Ruhe wiederherzustellen und ihr Eigentum vor weiteren Übergriffen zu schützen. Die Forderung nach einer allgemeinen Bürgerbewaffnung war nun da. Es bestand der Wunsch das Eigentum zu schützen, aber man wollte auch mit dem bewaffneten Volk den Fürsten zu Reformen zwingen. Als eine Abordnung von Deputierten aus Hanau ohne Ergebnisse vom Kurfürsten zurückkehrte, kam es auch dort zu Ausschreitungen, die sich in erster Linie gegen die Zollämter um Hanau richteten. Auch hier sorgte eine spontan errichtete Bürgerwehr für die Wiederherstellung der Ruhe.
In Marburg forderte man ebenfalls die Aufhebung der Maut. Polizeidirektor Hast befürchtete Ausschreitungen und berichtete, daß auch hier von den Bürgern die Errichtung der Bürgerwehr verlangt werde. In den Landkreisen wurden vor allem Einfälle aus dem benachbarten Ausland befürchtet. Der Kreisrat des Kreises Kirchhain Biskamp hatte nach Gründung einer Bürgerwache in Kirchhain am 2. Oktober 1830 auch den Magistrat von Neustadt dazu angewiesen. Auch in den Landgemeinden wurden Bürgerwachen errichtet. Am 11. Oktober 1830 erhielten sie nachträglich ihren gesetzlichen Rahmen und den klingenden Namen „Bürgergarde“. Kurfürst Wilhelm II. stand dem zwar anfangs ablehnend gegenüber, konnte aber hinsichtlich der wachsenden Bedrohung schnell von der Notwendigkeit überzeugt werden.

 Erste Verordnung vom 11ten Oktober 1830 – die Kirchhainer Bürgergarde
    

In § 1 der Verordnung wurde die Zusammensetzung der landesweiten Bürgerbewaffnung festgelegt, die nun nicht mehr nur aus Freiwilligen, sondern aus dienstpflichtigen Bürgern, Bürgersöhnen und Grundbesitzern vom 25ten bis zum 45ten Lebensjahr bestand, in Sonderfällen bis zum 50ten Lebensjahr. Vorgesehen waren insgesamt 24 Bataillone, davon entffielen fünf auf die Provinz Oberhessen. Das 13. Bürgerbataillon bestand aus vier Kompanien in Marburg und sollte durch eine halbe Eskadron Bürgerwachen zu Pferde erweitert werden. Die Städte Frankenberg, Frankenau, Rosenthal und Gemünden sowie Ziegenhain, Treysa, Schwarzenborn und Neukirchen stellten das 14. und 15. Bürgergardebataillon.  Die Städte Kirchhain, Schweinsberg, Neustadt und Amöneburg bildeten mit je einer Kompanie das 16. Bataillon und das 17. Bataillon wurde mit zwei Kompanien durch Rauschenberg und Wetter gebildet. Abhängig von der örtlichen Bevölkerungszahl sollte eine Kompanie aus 50 bis 120 Mann bestehen, einschließlich zwei Hornisten oder Tambours. An Dienstgraden für eine Kompanie waren an Unterofffizieren ein Feldwebel, ein Sergeant, ein Fourier und je auf zwölf Mann ein Korporal vorgesehen. Die Offfiziere waren ein Kapitän (Hauptmann), ein Premier-Lieutenant und ein oder zwei Sekond-Lieutenants.
Die Kirchhainer Bürgergarde bestand 1832/33 bereits aus 4 Offfizieren, 16 Unterofffizieren, 4 Spielleuten und 122 Gardisten. Als Offfiziere wurden in Kirchhain genannt: Kapitän Johann Schweinsberger, Premier-Lieutenant Konrad Wolf und die Sekond-Lieutenats Johannes Pfeffer und Chr. Maus. Das Unterofffizierkorps bestand aus dem Feldwebel Georg Nasemann, dem Sergeanten Justus Thornmann und den Korporalen Georg Eckhard, Heinrich Daube, Heinrich Gläser, Heinrich Mosebach, Friedrich Schmitt, Heinrich Wilhelm Rutz, Melchior Michel, Georg Fittich, Andreas Müller, Johann Heinrich Thielemann, Johannes Daube, Georg Sandie und Johann Heinrich Müller. Die Spielleute waren: Tambour Heinrich Herwig und die Hornisten Daniel Schröder, Johannes Blum und Justus Brenzel. Auch die Namenslisten der Kirchhainer Bürgergardisten sind im Stadtarchiv Kirchhain (im Hess. Staatsarchiv Marburg) erhalten und führen viele noch heute bekannte Kirchhainer Namen.

Die Bürgergarde – Bestandteil der Verfassung

Die Bürgergarde wurde als Ausdruck freiheitlicher Bestrebung und bürgerlichen Selbstbewusstseins sogar in der am 8. Januar 1831 von Kurfürst Wilhelm II. verabschiedeten kurhessischen Verfassung verankert. Diese von dem Marburger Professor Sylvester Jordan maßgeblich geschaffene Verfassung war eine der fortschrittlichsten ihrer Zeit, gab aber den Anlass zum nicht enden wollenden Streit zwischen Fürst und Volk. Im Gesetz „die Bürgergarden betreffend“ vom 23sten Juni 1832 wurde nach den bisher provisorischen Verordnungen der gesetzliche Rahmen geschaffen, der Organisation, Ausrüstung und Aufgaben der Bürgergarden genau formulierte (das Originalgesetztbuch befindet sich in der Sammlung unseres Vereins).
Man war ungeheuer stolz auf die neue Bürgergarde, deren Errichtung Ausstattung und Ausbildung für die nächste Zeit das Hauptinteresse der Bürger in Anspruch nahm. Endlich hatte man der „Soldateska“, der alleinigen Militärgewalt des Fürsten, etwas entgegen zu setzen und konnte seinen Forderungen politisch Nachdruck verleihen. Die Rivalität zwischen Militär und Bürgertum gipfelte zuweilen in blutigen Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel bei den legendären Gardes-du-Corps Nächten in Kassel, als die Leibgarde des Kurfürsten mit dem blanken Säbel auf wehrlose Demonstranten einhieb und es nur die dortige Bürgergarde vermochte, zu schlichten und für Ruhe zu sorgen.

Exerzierübungen der Bürgergarde; der Kirchhainer „Bürgergardekrawall“

Spielte die Bürgergarde in der Residenzstadt Kassel eine zuweilen nicht unwichtige Rolle, so war das Dasein der Bürgergarden in der Provinz deutlich beschaulicher. Neben Wachen zur Ernte und Obstreifezeit gehörte auch das Antreten zu offfiziellen Anlässen und Feiern zu den häufigsten Einsätzen der Bürgergarde in Kirchhain. In der Provinz ließ jedoch das Interesse der Dienstpflichtigen im Laufe der Zeit nach, und aus Kirchhain ist bekannt, dass sich so mancher mit Hilfe eines Attestes der regelmäßigen und als lästig empfundenen Dienste und Exerzierübungen entziehen wollte.

Das lange erwartete Reglement für die Waffenübungen und Dienstbewegungen erschien am 23. November 1835. Danach sollten die Bürgergarden ihre Übungen im Feuer, das „Schießen nach der Scheibe mit scharfer Patrone“, am Geburtstag des Landesherren absolvieren. In Kirchhain war dies immer das herausragenste Ereignis im Bürgergardejahr. Am Vormittag fand gewöhnlich die Übung mit anschließender Parade statt. Am Abend wurde dann bei drangvoller Enge der Bürgergardeball im Rathaussaal abgehalten. Als in einem Jahr der Rathaussaal für den Ball nicht zur Verfügung stand, gab es den in der Ortsgeschichte früher viel erwähnten „Kirchhainer Bürgergardekrawall“.Die Haupträdelsführer, die die Rathaustüre eingetreten hatten, wurden zu mehreren Wochen Haft verurteilt. Und da den Inhaftierten die Gefängniskost nicht schmeckte, sah man jeden Mittag und Abend die Ehefrauen mit Körben und Töpfen zum Amtsgerichtsgefängnis laufen, um den Häftlingen Hausmannskost zu bringen. Die Aufseher drückten hierbei wohlwollend ein Auge zu.          

Revolution 1848 und das Ende der Bürgergarde 

Die Aufgaben der Bürgergarden bestanden in erster Linie darin, in Verbindung mit der Gendarmerie die öffentliche Ruhe und Ordnung zu sichern. Jedoch waren mit der Dienstpflicht auch liberale Kräfte in die Bürgergarden gekommen, die es ja eigentlich niederzuhalten galt. Die Bürgerbataillone unterstanden zwar formell dem Generalkriegsdepartement, das in der Ernennung der Kommandeure eine direkte Möglichkeit zur Einflussnahme besaß, ihre inneren Strukturen bargen aber das Risiko einer Verselbständigung, denn die Offfiziere der Kompanien wurden von den Gardisten frei gewählt. Tatsächlich häuften sich seit dem Ende des Jahres 1830, also nach Einführung der Dienstpflicht, in den Städten mittlerer Größe Vorfälle, bei denen sich Bürgergardisten mit Demonstranten vereinigten. Die liberale Geisteshaltung in der Kirchhainer Bürgergarde spiegelt sich in der Person ihres Kapitäns Schweinsberger wieder. Im April 1834 beantragte Kreisrat Cranz gegen Schweinsberger „als Kapitain und Kommandeur“ der Kirchhainer Bürgergarde „auf dem Wege der Disziplin einzuschreiten.“ Schweinsberger hatte in einem Wirtshaus von Amöneburger Musikanten verlangt „verbotene Freiheitslieder“ wie „Noch ist Polen nicht verloren“ und die „Marseillaise“ zu spielen. Allein der Umstand, dass Schweinsberger nicht in der Person des Kapitäns aufgetreten war, verschonte ihn vor Disziplinarmaßnahmen.  

Minister Hassenpflug, genannt der „Hessenfluch“                  

Besonders nach dem Hambacher Fest und einer anschließenden Massenkundgebung der demokratisch-liberalen Bewegung in Wilhelmsbad, nahm das Innenministerium Anstoß an nationalen Symbolen. Der Bevölkerung Kurhessens wurde im Juni 1832 „das Tragen von schwarz, roth und goldenen Kokarden“ durch Minister Hassenpflug untersagt. Wer sich öffentlich liberal äußerte und aus seiner politischen Auffassung keinen Hehl machte, lief Gefahr in das Visier der Spitzel der kurhessischen Regierung zu geraten.
Im Sommer 1833 erfolgte, nach dem gescheiterten Frankfurter Wachensturm, ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen eine Gruppe Liberaler um den Marburger Apotheker Döhring. Es wurde die Gelegenheit genutzt, um ebenso mit alten Widersachern wie Sylvester Jordan abzurechnen, wie mit einer Reihe anderer Liberaler. Darunter befanden sich neben dem Kirchhainer Bürgermeister Dr. Heinrich Scheffer auch einige Angehörige der Marburger Bürgergarde, die wegen Hochverrats angeklagt wurden.

Im Hungerjahr 1846 kam es nach einer katastrophalen Missernte zu erneuten Unruhen. Nach dem Tod Wilhelm II. 1847, übernahm sein Sohn und bisheriger Mitregent Kurfürst Friedrich Wilhelm die Regentschaft und strebte eine Verfassungsrevision an. Zwar erfuhren die Bürgergarden während der turbulenten Märztage des Jahres 1848 noch mal einen Auftrieb, so stand ihr endgültiges Ende doch unmittelbar bevor. In der kurzen Episode zwischen 1848/49 zeigten die Bürgergarden offen ihre politische Einstellung und führten stolz die schwarz-rot-goldene Kokarde am Tschako und schafften sich Fahnen in den selben Farben an (nachweislich in Amöneburg), jedoch spielten sie in Oberhessen keine wesentliche Rolle mehr.
Mit dem Scheitern des Paulskirchenparlaments und der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König setzte die Reaktion der alten Kräfte mit aller Macht wieder ein. Kurfürst Friedrich Wilhelm I. berief Ludwig Hassenpflug (aus erster Ehe Schwager der Brüder Grimm), der schon 1832 bis 1837 als Minister ein strikter Verfechter der landesherrlichen Rechte gegenüber den Landständen gewesen war, erneut ins Ministerium. Ende August 1850 verweigerten die Stände die Steuern. Die Regierung verhängte das Kriegsrecht, der Kurfürst und sein Minister flohen aus Kassel nach Wilhelmsbad bei Hanau. Fast das gesamte Offfizierkorps, das sich mit dem Eid an die Verfassung gebunden fühlte, verlangte den Abschied (241 Offfiziere von 277). Der Kurfürst hatte keine Machtmittel mehr und forderte Unterstützung vom Bundestag, der ein österreichisch-bayerisches Exekutionskorps nach Kurhessen schickte. Die so genannten „Strafbayern“ wurden im November 1850 auch in Kirchhain einquartiert. Unter dem Kommando des Generals Haynau wurden alle freiheitlichen Bestrebungen in Kurhessen unterdrückt und die Bürgergarden aufgelöst.

Im großen und ganzen scheint die Kirchhainer Bevölkerung   mit dieser Zwangseinquartierung gut ausgekommen zu sein, jedoch gab es zuweilen heftige Schlägereien der Kirchhainer Burschen mit den Bayern, wenn herauskam, dass sich diese mit einem Kirchhainer Mädchen eingelassen hatten. Die junge Dame bekam dann abends „Katzenmusik“ gespielt und die Burschen sangen: „Hellblau ist bayrisch, grün gacke die Gäns, was sich mit ´nem Bayern abgibt, ist ein schlechtes Mensch.“
Eine neue Verfassung vom 13. April 1852 löste durch Bundesbeschluss die alte Verfassung von 1831 ab. Die bürgerlichen Rechte wurden stark eingeschränkt. Die Bürgergarden waren in dieser Verfassung nicht mehr vorgesehen und hatten ihre Existenzberechtigung endgültig  verloren.